„Lehrende müssen sich mit Systemen wie ChatGPT anfreunden“

Annemarie Alice Gonsiorczyk | 20. April 2023

Wie sieht eigentlich ein Professor für Künstliche Intelligenz ChatGPT? Wie wird der Chatbot die Bildung und Lehre nachhaltig verändern? Wir haben bei unserem FernUni-Prof. Matthias Thimm nachgefragt.

Wie sehen Sie ChatGPT aus Ihrer Sicht als Professor für Künstliche Intelligenz an der FernUniversität in Hagen?

Prof. Dr. Matthias Thimm: ChatGPT sehe ich als „sehr schöne Errungenschaft“ und finde es beeindruckend, was die Entwicklerinnen und Entwickler geschafft haben. Die Technologie ist nicht brandneu und man muss auch bedenken, dass es erst einmal ein Prototyp ist und kein komplett kommerzielles System. Ich sehe in dem System große Potenziale, vor allem für den Bereich Bildung. Ich denke auch, dass ChatGPT in Zukunft mehr in der breiten Masse genutzt wird.

Wie könnte Künstliche Intelligenz die Lehre an der FernUni oder auch allgemein unterstützen?

Matthias Thimm leitet das Lehrgebiet Künstliche Intelligenz der FernUniversität.

MT: Prinzipiell kann man ChatGPT nutzen, um gezielt nach Informationen zu suchen. Natürlich immer unter der Prämisse, dass man alles kritisch hinterfragen muss. Oft neigen wir Menschen dazu, einfach zu glauben, was einem gesagt wird. Am Ende des Tages ist ChatGPT eine große Suchmaschine, in der unheimlich viele Daten eingespeist wurden. Studierende können ChatGPT nutzen, um sich Wissen anzueignen und vor allem auch, um Wissenslücken zu schließen.

In der Lehre könnte man Chatbots zum Beispiel für Online-Tutorien nutzen, die einen durch das Studium begleiten und gemeinsam mit dem Studierenden lernen. Solche Systeme helfen beim Lernen, weil sie zeigen: wie weitreichend ist mein Wissen bereits und wo sind meine Schwächen.

Sind dann zukünftige Hausarbeiten noch selbst geschrieben? Wie erkennen Lehrende das überhaupt? Welche Risiken hat die Künstliche Intelligenz und wie gehen wir am besten damit um?

MT: Jetzt als Lehrender hat man natürlich ein „Problem“ oder steht vor neuen Herausforderungen, das sehe ich auf jeden Fall. Gerade bei sozialwissenschaftlichen Fächern, die sehr „textlastig“ sind und in denen viele Hausarbeiten geschrieben werden, könnte es sein, dass Studierende dort die Möglichkeit sehen, pragmatisch zu sein und ChatGPT schreibt dann die Hausarbeit. Man wird in Zukunft dort Abstriche machen müssen und sich als Lehrender auch mit solchen Systemen anfreunden.

Es gibt ja auch die Rechtschreibprüfung, deswegen ist eine Hausarbeit auch nicht direkt ein „Plagiat“. Lehrende müssen sich zukünftig umstellen und sich fragen, was möchte ich konkret an Fachwissen von den Studierenden abfragen. Das können zum Beispiel komplexere Fragen sein oder Themen, die Studierende nicht nur mit ChatGPT beantworten könnten. Dies bedeutet wiederum aber auch mehr Arbeit für die Lehrenden, um Hausarbeiten oder Klausuren zu prüfen, wenn sich diese komplexer gestalten.

Vielleicht wird zukünftig dann mehr auf mündliche Prüfungen gesetzt – ob online oder persönlich. Dort ist es schwerer zu täuschen. In der Informatik gibt es bei uns an der FernUni auch keine reinen Hausarbeiten als Prüfungsleistung. Dazu gehören auch Seminare. Dort merken Lehrende dann einfacher, wenn es eine sehr große Diskrepanz zwischen den Texten und der Präsentation gibt.

Es gibt mittlerweile auch Systeme, die extra trainiert werden, um zu erkennen, ob ein Text von einem Menschen oder einer künstlichen Intelligenz geschrieben wurde. Das wird sich auch ein neuer Markt etablieren. Diese beiden Parteien liefern sich dann einen Kampf – wer kann da besser täuschen oder wer kann besser erkennen, wer etwas geschrieben hat. Die finale Antwort, wie ChatGPT sich entwickelt oder in unseren Alltag in der Bildung und Lehre integriert, fehlt noch. Das ist auf jeden Fall auch für mich noch spannend.

„Der Lernende muss sich vor allem fragen – wie macht der Einsatz von Künstlicher Intelligenz für mich Sinn?"

Wie sieht ihre Forschung zur Künstlichen Intelligenz aus? Welche Inhalte geben Sie den Studierenden bei uns weiter?

MT: Mein Gebiet ist eigentlich die symbolische KI. In der Künstlichen Intelligenz unterscheidet man zwischen symbolischer und subsymbolischer KI. Letztere bildet in den letzten zehn Jahren die Hauptrichtung, das sind zum Beispiel Bereiche wie das Maschinelle Lernen und insbesondere das „Deep Learning“ (Methode des maschinellen Lernens, die künstliche neuronale Netze nutzt).

Ich beschäftigte mich unter anderem mit grundlagenorientierten Fragestellungen. Das sind Fragen wie zum Beispiel „Was heißt überhaupt Denken?“ oder „Wie kann Denken formalisiert werden?“ Auch forsche ich im Bereich der formalen Argumentation. Dort formalisiert man Argumente und Gegenargumente und schaue dann, welche Schlüsse man daraus schließen kann.

In der Lehre decken wir an der FernUni beide Bereiche ab.  Ab diesem Sommersemester biete ich zum Beispiel den neuen Kurs „Einführung in Maschinelles Lernen“ an. Ich biete Kurse zur symbolischen KI an und bereite für das nächste Sommersemester einen Kurs zur formalen Argumentation vor.

Wie können Mensch und Künstliche Intelligenz voneinander profitieren?

MT: Der Lernende muss sich vor allem fragen – wie macht der Einsatz von Künstlicher Intelligenz für mich Sinn? Bei der Künstlichen Intelligenz stellt sich auch immer die Frage, wofür man sie braucht. Wenn Kinder in der Grundschule rechnen lernen sollen, dann sollten sie keinen Taschenrechner benutzen, denn so lernt man natürlich nicht, wie man rechnet. Später im Beruf kann man den Taschenrechner sehr wohl sinnvoll einsetzen, gerade in bestimmten Bereichen wie in der Elektrotechnik oder der Statistik. Genauso ist es, wenn man lernen möchte, wie man schreibt und wie man selbst Texte gut strukturieren kann, dann empfehle ich auch nicht ChatGPT zu verwenden.

Wenn ein Mensch schreiben gelernt hat und dies zum Beispiel beruflich ausübt, dann kann ChatGPT bei der Recherche helfen oder aus bestimmten Eckdaten, die man eingibt z.B. Handbücher oder Gebrauchsanweisungen schreiben. Da kann man viel Zeit sparen. Im Bereich der Übersetzung sind Chatbots in den letzten Jahren ebenfalls sehr viel besser geworden.

Annemarie Alice Gonsiorczyk
annemarie-alice.gonsiorczyk@fernuni-hagen.de

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