Warum gute Konzepte wichtig, aber schwer zu vermitteln sind
Es ist nicht so, als gäbe es nicht genügend Bücher über Bildung auf dem Markt. Das noch relativ neue „Mythos Bildung“ des Soziologen Aladin El-Mafaalani beispielsweise bietet einen wichtigen Überblick gerade im Hinblick auf die Frage, warum sich das Bildungssystem so schwer tut mit tatsächlicher Chancengerechtigkeit.
Wenn es aber um Bücher von Praktiker:innen geht, die gleichzeitig in den aktuellen Diskussionen rund um eine Veränderung des Bildungssystems eingebunden sind, wird es etwas dünner. Bildungsbücher sind, so schien es mir bei der Recherche, meist von Personen geschrieben, die darin übereinstimmen, dass früher doch alles irgendwie besser gewesen ist.
Wenn man aber der Meinung ist, dass früher nicht alles besser war. Dass, im Gegenteil, sehr viel Potenzial ungenutzt blieb und bleibt. Dass sich in Sachen Haltung, Lernen und Technik die Dinge ändern müssen. Wie würde man dann ein Buch nennen, das darauf aufmerksam macht?
Raus aus der Bildungsbubble
Genau diese Frage habe ich mir gestellt, als ich den Gedanken gefasst hatte, über das zu schreiben, was für mich zum Lernen im 21. Jahrhundert gehört. In einem Buch, das die vielen schon bestehenden Ideen zu Bildung aus der Bildungsbubble hinausträgt.
Meine erste Überlegung als Erstunterzeichner des Hagener Manifests an der FernUniversität war nicht besonders überraschend: „New Learning“, also der Titel des Manifests, sollte auch gleichzeitig der Buchtitel meines ersten großen Buches werden. Nicht, weil der Name so schön klingt, sondern weil das Konzept, an dem so viele Menschen mitgearbeitet haben, genau den Fokus setzt, den es für das Lernen des 21. Jahrhunderts braucht: Ideen für ein vernetztes Lernen, ein Lernen, das das Digitale und die Digitalität einschließt, ein Lernen, das inklusiv und divers ist. Dafür könnte man nun quasi jeden Punkt des Hagener Manifests herunterspulen. Aber schauen wir uns dafür nur einen zentralen Aspekt an: Den Blick auf das, was oftmals verkürzt und wenig durchdacht Digitalisierung genannt wird.
„Lernen neu zu denken umfasst also weit mehr als digitale Technik. Ja, es bedarf neuer Infrastruktur, neuer Lernplattformen und neuer Technologien. Ebenso gefragt sind jedoch hybride Lehr- und Lernkonzepte, zukunftsfähige kooperative Organisationsformen in den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen sowie innovative politische Förderkonzepte für das Lernen.“ (https://newlearning.fernuni-hagen.de/das-hagener-manifest/)
Hier zeigt sich ein Punkt, den man andersherum so formulieren könnte: Die Digitalisierung wird oftmals nicht verstanden. Von der Politik, wenn es um „digitale Bildung“ geht, die als Formulierung die Digitalität schon stark verkürzt. Und dann in zweiter Instanz von Lehrerinnen und Lehrern, die in einer solchen Digitalisierung die schreckliche Erinnerungen an den digitalen Notfallunterricht wähnen. All das verkürzt das Digitale zu einem Bruchteil dessen, was es ist. Denn es geht um mehr als um eine veränderte Technik bei der Verwaltung. Es geht um mehr als um Tablets. Es geht um mehr als um Wischkompetenz. Es geht um eine sinnvolle und durchdachte Nutzung des digitalen in einem sich stetig rasant verändernden Umfeld.
Kurz: Es geht um reflektiertes Lernen im digitalen Wandel.
Das ist für mich die kürzeste Beschreibung dessen, was New Learning ist. Es erfordert aber eine Haltung, die gemeinsames Arbeiten und politische Unterstützung mitdenkt. Wie aber können solche Überlegungen über die Ränder der Bildungsbubble hinausgetragen werden?
Digitalisierung wird nicht verstanden
An dieser Frage wäre mein Buchprojekt fast gescheitert. Denn bei einem Buch ist die Ausgangsfrage ja nicht nur, worum es geht, sondern auch, wie man die Menschen mitnimmt. Und zwar so, dass sie zunächst das Problem erkennen. Und in einem zweiten Schritt Ideen an die Hand bekommen, wie man die Probleme lösen kann. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass ein Satz zur Digitalisierung tatsächlich der Titel einer Überschrift ist: „Die Digitalisierung wird nicht verstanden“, heißt es da plakativ, aber eben deshalb eindeutig.
Das Buch selbst wird noch deutlicher: „10 Dinge, die ich an der Schule hasse und wie wir sie verändern können“ (Mosaik-Verlag) heißt es und zeigt deutlich, was die Ausgangslage ist: Meine Unzufriedenheit mit einem Bildungssystem, das zumeist kein Lernen ermöglicht, wie es im Hagener Manifest definiert wird. Eine Unzufriedenheit, die ich mit vielen teile, die das Lernen endlich weiterdenken wollen.
„Ich hasse die Schule nicht”
Zukünftig immer wieder auf den zweiten Teil des Titels aufmerksam zu machen, habe ich schon als Herausforderung ausgemacht. Denn es ist klar, dass eine Frage nahe liegt, die sich aus einem schnellen Lesen ergibt: Wieso hasst du die Schule? Darauf kann ich nur antworten: Ich hasse die Schule nicht! Ich hasse verschiedene Schalthebel, verschiedene Hürden, die immer wieder im Weg sind, wenn es daran geht, Veränderungen herbeizuführen, die bitter nötig sind.
Aber wie schaffen wir das? »Bob Blume treibt die Diskussion zur Gretchenfrage des Schulsystems kundig, engagiert und kreativ immer weiter«, sagt die Rektorin der Fernuniversität Hagen, für die ich diese Kolumne schreiben darf. Das ehrt mich sehr und zeigt, dass auch treibende Kräfte der Hochschule – zu denen Frau Pellert zweifelsohne zählt -, die Möglichkeit sehen, wichtige Themen rund um die Bildung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Ob das auch gelingen wird, ist eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Wenn aber starke Buchtitel dazu führen, dass die Debatte weitergeht, dann kann ich sagen: Über Titel lässt sich streiten, über längst notwendige Haltungen nicht.