Bildungssystem Hagener Manifest Hochschullehre New Learning

Gemeinsames Erarbeiten der Lerninhalte als Ziel

Neues Lernen verlangt nach neuen Lernstrukturen und Methoden. Lernen mit Hilfe von digitalen Angeboten sucht nach verknüpften, assoziativen Elementen und Methoden. Eine lineare Wissensvermittlung kann weder dem Medium noch der Lehre gerecht werden. Daher enthält dieser kleine Text ein wenig Kritik am Ist der FernUni und gleichzeitig Begeisterung für die Gedanken hinter der Initiative New Learning.

Wenn das Hagener Manifest in seiner dritten These die Lernenden in den Mittelpunkt stellen möchte, dann muss sich dieser Anspruch in der Gestaltung der Lernmedien widerspiegeln. Der sequenzielle Aufbau der Studienbriefe und die relativ durchgehende Trennung der Lerninhalte von der Lernplattform (Moodle) steht einer adaptiven Lernumgebung diametral gegenüber. Es braucht dabei keine neuen technischen Errungenschaften. Ein Hypertextmedium im Kern seiner Bedeutung und im Hinblick auf seine ursprüngliche Zielsetzung stellt einen nahezu perfekten Rahmen für ein gemeinsames Erarbeiten der Lerninhalte dar.

Medium für Interaktion: der Computer

Schon 1945 hat Vannevar Bush über eine, noch nicht vorhandene, technische Plattform nachgedacht, die uns unmittelbaren Zugriff auf eine schier unendliche Menge an Wissen gibt. Er fokussiert bei seinen Betrachtungen  auf Wissen, auf Fakten und nicht auf die Verknüpfung dieses Wissens zur Schaffung von Erkenntnis. Das ändert sich gut 20 Jahre später bei Ted Nelson. Nelson sieht in einem Computer in erster Linie kein wissenschaftliches Arbeitsgerät, sondern ein Medium für Interaktion. Ein Medium, das für alle erreichbar ist. Nelson ist einer der Mitbegründer des Begriffs „Hypertext“.

„EVERYTHING IS DEEPLY INTERTWINGLED. In an important sense there are no „subjects“ at all; there is only all knowledge, since the cross-connections among the myriad topics of this world simply cannot be divided up neatly.“ (Nelson, 1974)

Aus intertwined [verflochten] und intermingled [verwachsen, vermischt] entsteht bei Nelson der Begriff Intertwingularity. Die seit Gutenberg ständig steigende Zahl an verfügbaren wissenschaftlichen Abhandlungen, führte zu einer immer stärkeren Spezialisierung und Diversifikation des Wissens. Verständnis, etwas nachdem wir Studierende lechzen, verlangt nach Verknüpfungen, nach dem Aufweichen von Grenzen. Das uns eigene assoziative Denken möchte neues Wissen mit vorhandenen Informationspaketen verbinden. Nur auf diesem Weg kann ein Verstehen die Basis für eigene, kreative Gedanken bilden. Es sind aber weder die Daten und deren schiere Menge, noch die Zahl der Verknüpfungen (Hyperlinks) alleine, die Verständnis schaffen. Die Informationen müssen erreichbar sein und dies hängt ganz wesentlich an der Schnittstelle zwischen Menschen und Maschine. Die Arbeiten von Ted Nelson benötigten unbedingt die Ideen eines Douglas Engelbart, der mit der Erfindung von Maus und grafischer Benutzeroberfläche eine nutzbare Schnittstelle zu der technischen Lösung geschaffen hat.

Nicht-lineare Lernumgebung erforderlich

Die Verknüpfung zwischen einzelnen Wissensfragmenten sind ähnlich bedeutend, wie das enthaltene Wissen selbst. Unsere Lernumgebung sollte selbst-organisierend und nicht linear aufgebaut sein. Die Lernumgebung sollte das assoziative Lernen fördern. Verständnis ist wesentlich. Die Erreichbarkeit von Wissensfragmenten ist für uns Studierende weniger ein Problem. Die Aufbereitung der Fragmente und deren fehlende Verknüpfung baut für Studierende die primäre Hürde auf.

Die Informationen in den Studienbriefen werden kaum intertwingled. Wir legen kleine Zettelchen mit Wissen in unserem Gedächtnis an, aber wir können diese Zettelchen nicht verknüpfen und werden diese Information wieder verlieren. Der lineare Aufbau der Studienbriefe verstärkt diesen Effekt weiter. Die Studienbriefe der FernUni werden auch im Jahr 2022 primär in gedruckter Form verschickt (ein Bezug von PDF-only ist nicht möglich – das nenne ich „old school“). Auch wenn die Texte alternativ als PDF zur Verfügung stehen, es bleibt bei einer linearen Informationsvermittlung. Ein PDF ist nicht das ideale Format für eine interaktive, moderne und nachhaltige Lernumgebung. Mediengerecht oder medienübergreifend ist dieses Lernmaterial nicht. Das gilt ebenso für Moodle. Einem Modul ein paar Seiten in Moodle zu gönnen, ist ein kleiner Schritt in eine vielversprechende Richtung. Lernen kann man damit aber kaum. Das verlangt Interaktion. Verlangt nach vernetzten Inhalten. Verlangt nach Engagement der Studierenden und nach dem Austausch zwischen Studierenden und Dozenten und untereinander.

»No medium today, and certainly no single media event, seems to do its cultural work in isolation from other media, any more than it works in isolation from other social and economic forces. What is new about new media comes from the particular ways in which they refashion older media and the ways in which older media refashion themselves to answer the challenges of new media« (Bolter/Grusin, 2000)

Corona hat uns alle über alle Maße belastet und viele Dinge verhindert. Für das Lernen an der FernUni hat es allerdings durchaus positive Impulse gesetzt. Kaum ist die Pandemie, zumindest zeitweilig, überstanden, fällt die FernUni zurück in alte Muster. Eine Studienwoche der Literaturwissenschaft findet ausschließlich in Präsenz statt; von rund 40 „Präsenzveranstaltungen“ im Fachbereich Geschichte werden weniger als 10 auch oder ausschließlich „online“ angeboten. So wird das „Neue Lernen“ noch lange auf sich warten lassen.

 

Detlef Beyer

 

Quellen

Bush, Vannevar. As we may think in Atlantik Monthly, Bd. 176, 1945

Nelson, Theodor H. Computer Lib. You can and must understand computers NOW. Self-published (1st ed.)/[Chicago] 1974.

Bolter, Jay David/Grusin, Richard (2000) Remediation. Understanding New Media. Cambridge, MA: MIT Press., S. 15

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