Update für die Verwaltung

Carolin Annemüller | 21. Juni 2023

Ministerien und öffentliche Institutionen sollen agiler und digitaler arbeiten. Wie dies gelingen kann, erforschen Dr. Julia Borggräfe und Dr. Judith Muster im Forschungsschwerpunkt Arbeit – Bildung – Digitalisierung (ABD) der FernUniversität in Hagen. Wie lässt sich der Wandel gestalten? Was lässt sich aus angestoßenen Projekten zu Verwaltungsinnovationen lernen? Welche Erkenntnisse unterstützen agiles Arbeiten sowie eine nachhaltige Digitalisierung der Verwaltung? Um diese Fragen geht es in den Projekten „Postbürokratisches Organisieren und Entscheidungsfindung in der Verwaltung“ sowie „Digitalisierung der Verwaltung“. Im Interview sprechen die Wissenschaftlerinnen und Unternehmensberaterinnen (Metaplan) über das ABD als Basis, Best Practices und den Transfer in die Praxis.

FernUniversität: Welche Basis liefert das ABD für Ihre Forschung?

Dr. Julia Borggräfe

Borggräfe: Als wissenschaftlich basierte Unternehmensberatung versuchen wir durch die Kooperation mit dem ABD etwas Neues. Es ist für eine Universität ungewöhnlich, mit einem Forschungspartner wie uns zu arbeiten. Das verleiht dem innovativen Ansatz des ABD mehr Wirkung: Weil man Perspektiven zusammenbringt, die normalerweise nicht zustande kommen. Es ist ein toller Pilot für einen neuen Ansatz von Forschung, die ich für innovativ und anwendungsbezogen halte. Und der einen Mehrwert für Verwaltungsinnovationen schaffen kann. Ich glaube, dass uns das Komplementäre, also das Wissenschaftliche und das Anwendungsorientierte, mit Blick auf die Praxis weiterhilft. Forschung, die mit guten Ergebnissen in der Praxis angewendet werden kann, ist unschlagbar.

Dr. Judith Muster

Muster: Bei Forschung im universitären Kontext ist es immer eine Frage, wie man den Transfer hinbekommt. Das ist auch das, was uns als Unternehmensberaterinnen interessiert. Es ist daher naheliegend, in dieser Richtung weiter Forschungsexpertise aufzubauen, gerade wenn es um Transfer geht. Unsere beiden Projekte, die wir für die Dauer von zwei Jahre angelegt haben, funktionieren stark partizipativ. Wir legen unsere Forschungsfragen auf der wissenschaftlichen Seite fest, berücksichtigen aber auch Fragen unserer Forschungspartner. Die Ergebnisse spielen wir in regelmäßigen Abständen zurück in die Praxis, um erneut Daten zu gewinnen.

Warum ist ein Update der Verwaltungen in Deutschland so dringend erforderlich?

Borggräfe: Verwaltung muss sich stärker bewusst sein, dass sie das Aushängeschild von Demokratie gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ist. Der Unterschied im Vergleich zu Unternehmen ist, dass Verwaltung als Monopolbetrieb keinen Marktdruck von außen spürt. Im Prinzip fällt der Teil weg, der bei Unternehmen die Existenz ausmacht, nämlich, sich im Markt zu behaupten. Dadurch hat Verwaltung einen anderen Veränderungsdruck, der nicht so präsent ist. Gleichzeitig ist es so, dass circa 8o Prozent aller Menschen einmal im Jahr mit der Verwaltung zu tun haben, die sie leider oft als dysfunktional empfinden. Das ist dramatisch für das Systemerleben Verwaltung. Darunter leidet die Demokratie massiv. Wir sehen das in manchen Bundesländern an den Wahlergebnissen. Die andere Perspektive ist, dass man über neue Formen der Zusammenarbeit nachdenkt und aufzeigt: Auch Verwaltung kann ihre Ziele umsetzen, indem sie anders arbeitet und gleichzeitig eine größere Kundenzufriedenheit erreicht.

Muster: Aus organisationssoziologischer Perspektive lässt sich noch eine Grunderkenntnis aus den Forschungsprojekten danebenlegen. Im Kontext der digitalen Transformation unterschätzt  Verwaltung gerne, dass sie eine Organisation ist. Sie unterschätzt auch, dass Digitalisierung nicht nur ein technischer Prozess ist, sondern einer, der auf einer Organisation beruht, die bestimmte Eigenlogiken hat. Deswegen ist die Digitalisierung als Querschnittsthema so spannend für Verwaltungsinnovationen und unsere Forschung. Das ist wie eine Art Brennglas, unter dem man organisationale Herausforderungen an die Verwaltung besonders gut beobachten kann.

„Verwaltung muss sich stärker bewusst sein, dass sie das Aushängeschild von Demokratie gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ist."
Dr. Julia Borggräfe

Was sind denn gute Muster, die sich bei Verwaltungsinnovationen bewährt haben? Welche Beispiele könnten auf der Metaebene als Best Practice dienen?

Borggräfe: Es gibt Spielräume, die Verwaltungen als Exekutive tatsächlich haben. Wir haben zum Beispiel in meiner Zeit im Bundesministerium für Arbeit und Soziales agile Coaches ausgebildet. Das hat jetzt die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung übernommen. In der letzten Legislatur-Periode bei der Erarbeitung der Nationalen Weiterbildungsstrategie hatten wir 45 Stakeholder an einem Tisch sitzen. Diese haben in agilen, co-kreativen Teamformaten gearbeitet. Man kann dann trotzdem diese für Verwaltung ungewöhnlichen Arbeitsweisen in die klassischen Pfade gießen, spätestens wenn man in einem Gesetzgebungsverfahren ist. Der Unterschied ist, dass das Produkt, das in die Pipeline gegeben wird, eine völlig andere Qualität hat, als wenn es von nur einem Ressort im klassischen Umlaufverfahren erarbeitet wird. Was man nicht unterschätzen darf: Verwaltung legitimiert sich darüber, dass sie für die bestmögliche Entscheidung die bestmöglichen Informationen zugrunde legt. Das heißt: Wenn Verwaltung eine gute Perspektive zu einem zu entscheidenden Thema aufbauen will und diese Expertise naturgemäß nicht in den eigenen Reihen vorhanden hat, dann muss sie von außen Stakeholder einbinden. Ansonsten trifft sie keine gute Entscheidung.

Muster: Wenn man sich die Praxis in den Ministerien anschaut, wird oft wie in der Wirtschaft eine Art Innovation Hub gegründet. So können bestimmte Fragen der Digitalisierung, zum Beispiel die des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz, pilotiert werden, bevor sie auf die hierarchischen Strukturen aufschlagen. Wann ist das klug? Man erlebt ja durchaus, dass solche Innovation Hubs nichts auslösen. Das, was pilotiert wird, sollte daher nah am Kerngeschäft der Behörde liegen. Multiplikatorinnen und Multiplikatoren müssen bei der Entwicklung zwingend einbezogen werden und können stark in die Behörde zurückwirken. Das Führungspersonal sollte die Brücke vom Innovation Hub zur Kernorganisation wieder schließen können. Das sind erfolgskritische Faktoren.

Wie können am Ende Handlungsempfehlungen für die Praxis aussehen?

Muster: In einem ersten Workshop mit unseren Forschungspartnern ist jetzt schon klar geworden, dass diese sich sehr stark einen Austausch wünschen. Wir denken zum Ende der Forschungszeit an ein Symposium zu Verwaltungsinnovationen, um gemeinsam auf Best-Practices zu schauen. Außerdem werden wir praxisorientiert publizieren. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, verstehbare Soziologie zu machen und die Erkenntnisse in die Praxis zurückzugeben. Das würde sich sinnvollerweise an das ABD angliedern.

Borggräfe: Wir müssen gemeinsam mit dem ABD schauen, wie wir diese lessons learned auf einer Metaebene miteinander formulieren. Das Besondere dabei ist für mich, dass wir Erkenntnisse zusammentragen, daraus neues Wissen generieren und damit ein Angebot für die Praxis schaffen. Das ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal.

Zur Person

Dr. Julia Borggräfe ist Juristin und arbeitet seit 2022 bei der Unternehmensberatung Metaplan als Associate Partner. Zuvor hat sie als Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Abteilung Digitalisierung und Arbeitswelt sowie die Denkfabrik aufgebaut.

Dr. Judith Muster ist Soziologin und arbeitet seit 2011 bei Metaplan, heute als Partnerin. Außerdem forscht, lehrt und publiziert sie an der Universität Potsdam zu postbürokratischen Organisationsmodellen, zu datengestütztem Entscheiden sowie zu Führung und Innovation.

Gemeinsam haben die Wissenschaftlerinnen die Metaplan Gesellschaft für Verwaltungsinnovation gegründet, die sie als Co-Geschäftsführerinnen leiten.